Die Kanarischen Inseln werden sich des Problems immer neuer Tourismus-Rekorde allmählich bewusst. Und doch will niemand vom Wachstum abrücken. Um der Zwickmühle zu entkommen, sollen künftig andere Werte in den Fokus rücken. Wie schwierig das ist, beweisen die handelnden Personen derzeit in Madrid.
Der Diskurs über Tourismus-Rekorde und das anhaltende Wachstum zeigt sukzessive Früchte, wie der Blick auf die 44. Tourismus-Messe “Fitur” beweist. Dort präsentieren sich die Kanarischen Inseln nicht nur der Branche, sondern auch nachdenklich. Zumindest kurz.
“Wir müssen aufhören, Touristen zu zählen, um uns auf andere Werte wie Qualität, Nachhaltigkeit und Mehrwert zu konzentrieren”, lautete der Vorschlag für einen Paradigmenwechsel bei der Eröffnung am Stand der Kanarischen Inseln. Nachdem 2023 die Krisenzeit mit neuen Rekorden endgültig überwunden scheint, sucht die Branche nach einer Strategie. Und Kanaren-Präsident Fernando Clavijo hat dafür eine Idee: Die Kanaren müssen den Massen-Tourismus beenden – und doch feiert Clavijo selbst am Ende wieder den Massen-Tourismus.
“2024 Endet der Fokus auf Masse”: Kanaren wollen weg von Tourismus-Rekorden, hin zu Qualität
In seiner Eröffnungs-Rede des kanarischen Standes auf der Tourismus-Messe führte Clavijo fort: “Vorbei sind die Zeiten, in denen die Gesundheit des Sektors nur anhand der Zahl von Touristen gemessen wurde.” Laut dem ersten Mann des Archipels “geht es heute darum, andere Zahlen zu erhöhen, die die Vorteile messen, die unser leistungsstarker und moderner Sektor für das Ganze bringt: Mehr Ausgaben pro Besucher, mehr Konsum lokaler Produkte, mehr Nachhaltigkeit, mehr Technologie und mehr Innovation”.
Und mit dieser Einschätzung scheint Clajivo offene Türen einzurennen. Denn auch der Präsident des Arbeitgeberverbands der Hotellerie auf Teneriffa, Jorge Marichal, betont einen ähnlichen Sinneswandel.
“Es geht nicht nur darum, die Zahl der Besucher zu steigern”, sagte der Ashotel-Präsident. Künftig müsse “das Konzept des Nach-innen-Wachstums” vorangetrieben werden, erläuterte Marichal weiter. Es müssten “alte Anlagen erneuert und Mehrwerte geschaffen werden, ohne mehr Fläche zu verbrauchen”.
Für den Tourismus-Vertreter steht fest: Im Jahr 2024 endet der reine Fokus auf Masse. Viel mehr gehe es nun um die “Qualität des Angebots”. Und auch die Nachhaltigkeitsstrategie sei wichtig. Dabei gehe es nicht nur um Umwelt-Aspekte, “sondern auch um das Soziale”. Auch Unternehmen müssten wieder nachhaltiger mit ihren Mitarbeitenden umgehen.
Umdenken: “Kanaren brauchen Qualitätstourismus”
Der Präsident des Kanarischen Unternehmerverbandes (CCE), Pedro Ortega, findet noch deutlichere Worte: “Die Kanarischen Inseln müssen auf einen Qualitätstourismus setzen.” Für den Fachmann steht außer Frage, dass dieser Urlaub auf den Kanaren “einen Mehrwert bieten und nachhaltig sein” muss. Die Fitur sei eine erste Chance, mit der “Neupositionierung der Kanarischen Inseln auf der Messe” zu beginnen.
Clavijo sieht die vom Tourismus stark abhängigen Kanaren wie “das Labor, das vorhersagt, wohin sich der Sektor entwickelt”. Die Inseln müssten auf einen Tourismus setzen, “der die Lokomotive ist, die die übrigen Sektoren wie Waggons zieht”, sagte der Präsident der Kanarischen Inseln blumig.
Kanarische Inseln: Paradigmenwechsel ohne Ideen?
Während bei der Führungsriege der Kanaren und dessen wichtigstem Wirtschaftszweig Einigkeit herrscht, dass die Kanaren allmählich an eine natürliche Grenze stoßen und das reine “höher, schneller, weiter” dann nicht mehr funktioniert, scheinen für einen konkreten Weg bisher noch die Ideen zu fehlen.
“Die eigentliche Herausforderung für die Kanarischen Inseln besteht jetzt darin, die guten Statistiken des Tourismussektors auf die Wirtschaft des Archipels als Ganzes zu übertragen”, sagte Clavijo. Übersetzt heißt das, die Kanaren haben bisher keine Idee, wie das Geld, das der Massen- und Billig-Tourismus liegen lassen soll, kurzfristig anders verdient werden kann.
Kanaren-Tourismus facht hohe Mieten und Arbeitermangel an
Dafür jedoch sind die einhergehenden Probleme längst Realität. Um Ideen für einen neuen Kurs zu sammeln, sei an den kanarischen Universitäten das Projekt “Grow Together” ins Leben gerufen worden. Politisch müsse derweil eine neue Vision her, wie “die unerwünschten Auswirkungen” des Tourismus minimiert werden können.
Mit diesen Auswirkungen gemeint sind Probleme, wie der durch Tourismus bestärkte Wohnraum-Mangel und damit einhergehend schwindende Arbeitskräfte, da die Anwohner sich die Mieten in vielen Gebieten nicht mehr leisten können und wegziehen.
Kanaren betonen doch wieder neue Tourismus-Rekorde
Trotz aller Absichtsbekundungen, den Tourismus verändern und Rekorden nicht mehr hinterherrennen zu wollen, betonten die Politik- und Tourismus-Vertreter der Kanarischen Inseln schließlich doch wieder quantitative Aspekte.
Clavijo sprach über die “hervorragende” Anzahl touristischer Aktivitäten auf den Inseln im vergangenen Jahr sowie die “hervorragenden Prognosen” für 2024. “Das klare Bekenntnis zu den europäischen Märkten ermöglicht es uns, eine Saison mit zwölf Millionen Flugsitzen zu bewältigen”. Laut dem Politiker seien das “neun Prozent mehr als im Jahr 2023 und 21 Prozent mehr als in der Pandemiezeit”.
Auch die aktuelle Wintersaison werde laut Clavijo “weiteres Wachstum” bringen. Mit zehn Millionen Sitzplätzen würde ein Anstieg um fast zehn Prozent im Vergleich zur vorherigen Saison und 36 Prozent mehr als in der Vorpandemiezeit erreicht. Für den Präsidenten werde daher “2024 im Hinblick auf den Touristenumsatz ein großartiges Jahr”.
Kanaren wollen Massen-Tourismus beenden – und feiern den Massen-Tourismus
Für den Tourismus-Sektor sei es möglich, im laufenden Jahr den Umsatz von 20 Milliarden Euro zu übertreffen, den die 16 Millionen Touristen im vergangenen Jahr brachten. “2023 war das Jahr des endgültigen Aufschwungs unseres internationalen Tourismus”, sagte Präsident Clajivo. Der Politiker betonte, dass “der britische Markt im Vergleich zu 2022 um 14 Prozent gewachsen ist”. Es folge der irische Markt mit 28 Prozent, der französische mit zehn und der italienische mit acht Prozent Wachstum.
Touristen aus Deutschland lägen bisher noch unter dem Plan. Doch die Prognose sei positiv, betonte der Kanaren-Präsident. Was all diese Zahlen-Betrachtungen mit einem “Ende des Massen-Tourismus” und dem Paradigmenwechsel hin zu anderen Zielwerten zu tun haben, blieb offen.
Kommentare zu:
So tief stecken die Kanaren wirklich in der Tourismus-Falle
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