193 Tier- und Pflanzenarten in Spanien sind vom Aussterben bedroht. 101 von ihnen leben auf den Kanarischen Inseln und gelten laut der “Roten Liste” als akut gefährdet. Damit sind die Kanaren der Teil des Landes, auf dem die Natur am stärksten gefährdet ist. Und das, obwohl es dort überdurchschnittlich viele Naturschutzgebiete gibt.
Zu diesem Ergebnis kommt die “Estado de la Biodiversidad en España 2023”, also die jährliche Studie zur Lage der Biodiversität Spaniens. Ins Leben gerufen wurde der Bericht von der IUCN und dem Centro de Supervivencia de Especies de la Macaronesia unter der Beteiligung der Loro Parque Foundation.
“Wir versuchen, eine Bewertung des Zustands der Arten in den einzelnen Ländern zu erstellen, um gemeinsam mit den Regierungen Schutzmaßnahmen zu fördern”, sagt Jon Paul Rodríguez. Der Leiter des Bereiches zum Überleben der Artenvielfalt bei der IUCN steht vor einer schwierigen Aufgabe. Denn ausgerechnet auf den Kanarischen Inseln, der Grünen Lunge des Landes, sind besonders viele der 9073 überwachten Tiere und Pflanzen bedroht.
“Rote Liste”: Kanaren beheimaten besonders viele bedrohte Arten
Neben der reinen Betrachtung der bedrohten Arten wird auch auf die autonomen Gemeinschaften geblickt. “Denn sie sind für die Erhaltung verantwortlich”, sagt Javier Almunia, Direktor der Loro Parque Fundación. Und die Kanaren, auf denen die Stiftung gegründet wurde, gehören zu den Sorgenkindern.
Die Inseln gelten als einer der Hotspots der bedrohten biologischen Vielfalt. Das liegt unter anderem an der großen Anzahl endemischer Arten, also von Tieren und Pflanzen, die nur auf dem Archipel vorkommen.
“Siebzig Prozent der vom Aussterben bedrohten Arten auf den Kanaren sind endemisch”, sagt Almunia. Das zeigt die Dramatik. Denn sterben diese Tiere auf den Kanaren aus, verschwinden sie zeitgleich für immer von der Erde.
Kanaren: Besonders Schnecken, Hai-Arten und Rochen vom Aussterben bedroht
Die meisten dieser Lebewesen sind Pflanzen. Der Kanarische Fingerhut, Isoplexis chalcantha, ist so ein Beispiel. Die Pflanze wächst draußen, ist jedoch nicht winterfest. Damit sind die Kanarischen Inseln der optimale Ort für die Zierpflanzen – so lange sich das Klima nicht deutlich verändert. Ähnlich steht es um den Cabezón de las Nieves (Cheirolophus santos-abreui) auf La Palma. Beide gelten als akut vom Aussterben bedroht.
Als am zweitstärksten gefährdet gelten Weichtiere. Zu ihnen gehört beispielsweise die Schneckenart Monilearia arguineguinensis. Darauf folgen die Knorpelfische. Zu ihnen gehören beispielsweise der Engelhai (Squatina squatina) und drei Rochen-Arten (Aetomylaeus bovinus).
Auf den Kanaren leben mehrere bedrohte Arten auf einem Fleck
Doch es gibt einen weiteren Faktor: Denn neben der bloßen Zahl gibt es auf den Kanaren auch die meisten Hotspots, in denen mehrere bedrohte Arten zusammenleben. So gibt es auf den Inseln Bereiche, in denen bis zu acht vom Aussterben bedrohte Tiere und Pflanzen zusammenleben.
Zu den sieben bedeutendsten Hotspots auf den Inseln gehört das Gebiet von Punta de Teno auf Teneriffa. Dort leben Rieseneidechsen (Gallotia intermedia) und einige Pflanzenarten, wie Hypochaeris oligocephala, Kunkeliella psilotoclada, Limonium spectabile und Pleiomeris canariensis.
Spaniens Ort mit den meisten gefährdeten Tieren und Pflanzen liegt auf Fuerteventura
Ebenso erwähnenswert sind die Peninsula de la Isleta und der Parque Rural Doramas mit seiner Umgebung auf Gran Canaria. Dort finden sich mehrere gefährdete Arten von Gliederfüßern und Weichtieren sowie bis zu sechs bedrohte Pflanzenarten auf jeweils einem Fleck.
Der vielleicht kritischste Hotspot bedrohter Tiere und Pflanzen ist der Naturpark Jandía auf Fuerteventura. Dort leben vier Pflanzenarten, drei Weichtiere und ein Vogel, der Dünnschnabel-Brachvogel (Numenius tenuirostris) zusammen. An diesem Ort kommen spanienweit die meisten akut bedrohten Arten zusammen.
Kanaren haben “gutes Konzept” für ihre Naturschutzgebiete
Immerhin attestieren die Autoren der Studie den Kanarischen Inseln trotz der alarmierenden Daten ein gutes Konzept für Naturschutzgebiete. Dies machen sie unter anderem daran fest, dass die Inseln 51,2 Prozent ihres Territoriums als Schutzgebiete ausweisen. Die für die Studie relevanten Schlüsselgebiete machen 32,1 Prozent des Territoriums aus. Es wird also mehr Raum geschützt, als die Heimat der akut gefährdeten Arten ausmacht.
Doch es gibt Löcher. Und das zeigt die Schwierigkeit, den bedrohten Arten gerecht zu werden. Denn während die Kanaren bereits überdurchschnittlich viel Fläche schützen, gibt es noch immer Arten, die zwar akut gefährdet, dabei jedoch noch nicht geschützt sind.
Die Molluske ist so ein Beispiel. Sie ist bei Candelaria auf Teneriffa endemisch und vom Aussterben bedroht. Da sie nicht unter Schutz steht, könnte sie schon bald für immer verschwinden. Auf den Kanarischen Inseln sind drei Viertel der bedrohten Tierarten geschützt. Der spanische Durchschnitt kommt auf 64,4 Prozent.
Andere Gemeinden, in denen bedrohte Arten ohne Schutz leben, liegen auf El Hierro, in El Médano, Los Rodeos und La Esperanza auf Teneriffa, in Malpaís Grande, Barranco de Río Cabras und Monteverde de Frontera auf Fuerteventura oder in Haría auf Lanzarote. Durch den Verweis auf diesen Schiefstand, wollen die Autoren der Studie die Autonomen Gemeinschaften dazu bewegen, sich der Problematik stärker anzunehmen – obwohl die Kanaren bereits überdurchschnittlich viel Schutz bieten.
“Beherztes Handeln” nötig, um das nächste Artensterben abzuwenden
“Wir wollen eine gute Analyse anbieten und die Verbreitung einiger Arten, vor allem der wirbellosen Tiere, neu untersuchen”, erklärt Almunia. Dazu werde mit den Universitäten der Kanarischen Inseln zusammengearbeitet. So wolle man die Klassifizierung der Arten aktualisieren. Auf diese Weise kann auch geklärt werden, ob beispielsweise die 1878 in Garachico entdeckte und seither nie wieder beobachtete Landschnecke Xerotricha einfach nur sehr selten geworden oder tatsächlich inzwischen ausgestorben ist.
In der Roten Liste der IUCN werden die Populationen tausender Arten auf der ganzen Welt aufgeführt. Nachdem die Vorreiter der IUCN vor vielen Jahren feststellten, dass die bloße Aufführung bedrohter Arten keine adäquaten Reaktionen hervorrief, wurde das heutige Netzwerk ins Leben gerufen. So sollen “nationale Maßnahmen mit Hilfe der von der IUCN bereitgestellten Daten gefördert” werden, erklärt Rodriguez.
Man sei sich sicher, das Teile des bevorstehenden nächsten großen Artensterbens abgewendet werden können. Dazu brauche es jedoch beherztes Handeln, mahnt Rodriguez.
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Rote Liste: Auf den Kanaren droht den meisten Arten das Aussterben
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