Pro Tag wird auf den Kanaren ein Kind weniger geboren. Damit haben die Kanarischen Inseln die niedrigste Geburtenrate in Spanien. Hinzu kommt eine Veränderung der Sterblichkeit.
Die Folge für die Kanaren sind vielschichtig. Denn während im Jahr 2023 nur noch 11.854 Kinder zur Welt kamen, was einem Rückgang um drei Prozent entsprach, gibt es ein weiteres Phänomen.
Daten des Nationalen Statistik-Instituts INE zeigen, dass immer weniger Familien Nachwuchs bekommen. Die Universität von La Laguna (ULL) hat eine Idee, woran das liegt. Und erklärt, warum Migration derzeit so wichtig ist.
Darum haben die Kanaren die niedrigste Geburtenrate
José León García arbeitet an der ULL als Doktor der Humangeographie. Er befasst sich dort also mit dem Studium der Menschen, ihrer Gemeinschaft, Kultur, Ökonomie und der Interaktion mit der Umwelt. Er sieht die niedrigen Gehälter auf den Kanarischen Inseln als einen Grund für den Geburtenrückgang.
Die Kanarischen Inseln haben das zweitniedrigste Einkommen in Spanien. Dazu eine zwar bessere, doch im kollektiven Gedächtnis weiterhin instabile Lage bei den Arbeitsverträgen und eine hohe Arbeitslosenquote.
Hinzu kommen seit einiger Zeit große Schwierigkeiten beim Zugang zu bezahlbarem Wohnraum. Und so entscheiden sich immer weniger junge Familien dazu – wenn überhaupt – nicht mehr als ein Kind zu bekommen.
Sterblichkeit auf den Kanaren sinkt merklich
Neben der niedrigen Geburtenrate melden die Inseln jedoch ein weiteres, eigentlich schönes Phänomen. Denn die Sterblichkeit auf den Inseln sinkt. Im vergangenen Jahr wurden 17.846 Todesfälle registriert. Das waren 4,6 Prozent weniger als im im Jahr davor.
Im Jahr 2023 haben die Kanarischen Inseln auf natürliche Weise 5992 Menschen verloren. Denn auf den Kanaren sind weniger Kinder geboren worden als Menschen gestorben sind.
Kurzfristig gibt es durch die sinkende Sterblichkeit das Problem einer immer älter werdenden Gesellschaft. Und langfristig volkswirtschaftliche Probleme. Denn zu wenig Kinder bedeuten für Wirtschaft und Politik in Zukunft weniger Menschen, die arbeiten gehen, in die Rentenkasse einzahlen und im Alltag die Wirtschaft ankurbeln.
Kanaren: Doppelt so viele alte Menschen wie Jugendliche
Spanienweit sinkt die Zahl der Todesfälle sogar schneller als auf den Kanarischen Inseln – um 5,8 Prozent. Im vergangenen Jahr stieg die Zahl der Todesfälle nur in einer Altersgruppe: Bei Kindern unter vier Jahren. Die Gruppe der 85- bis 89-Jährigen blickt hingegen auf eine um fast elf Prozent sinkende Sterblichkeit. Bei den Über-90-Jährigen sind es 6,1 Prozent. Die Lebenserwartung in Spanien steigt also deutlich.
Für die Kanarischen Inseln bedeutet das eine erhebliche Unwucht in der Gesellschaft. Denn es gibt inzwischen fast doppelt so viele ältere Menschen wie Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren.
Für García steckt darin ein dringender Auftrag an die Politik. Die Anforderungen an Gesundheits- und Pflegemanagement in der Zukunft müssten dringend formuliert und angegangen werden. Denn diese Entwicklung wird für die Zukunft “allerlei Kosten für die Verwaltung mit sich bringen”.
Kanaren: Einwanderung aus Spanien und Europa rettet die Gesellschaft
Um die Gesellschaft der Kanarischen Inseln gleich groß zu halten und solche Probleme in Zukunft abzuwenden, müsste die Geburtenrate durchschnittlich bei 2,1 Kindern pro gebärfähiger Frau auf den Kanarischen Inseln liegen. Derzeit liegt sie jedoch bei 0,8.
Dass es bisher trotzdem nicht zu einem Bevölkerungsrückgang kommt, liegt an der Zuwanderung aus dem In- und Ausland. Im vergangenen Jahr ist die kanarische Bevölkerung so um 22.997 Menschen gewachsen. Das bedeutete einen Anstieg um 1,04 Prozent. 12.318 dieser Einwanderer sind spanische Staatsangehörige und 10.679 stammen aus dem Ausland.
“Ohne diese Einwanderung, die hauptsächlich aus anderen Gemeinschaften Spaniens, europäischen oder lateinamerikanischen Ländern und in geringerem Maße vom afrikanischen Kontinent kommt, würde die kanarische Bevölkerung auf natürliche Weise zurückgehen”, sagt der García.
So verändert der Tourismus die Demographie der Kanaren
Für den Forscher gibt es einen “auffälligen” Paradigmenwechsel auf den Kanarischen Inseln. Früher seien die Kanaren eine natalistische autonome Gemeinschaft gewesen. Also eine Gesellschaft, die auf Wachstum durch viele Geburten gepolt ist. In den 70er-Jahren habe diese Haltung ihren Höhepunkt erreicht.
Inzwischen jedoch hätten sich die Kanaren laut García sogar zur am wenigsten natalistischen Gemeinschaft des Landes entwickelt. Und das sei ein Ergebnis des gesellschaftlichen Wandels. Die Menschen hätten sich seither aus dem ländlichen in den städtischen Raum verlagert. Dort gibt es nicht nur weniger Platz, sondern auch die Familienkonstrukte hätten sich insbesondere in den Ballungsgebieten verändert.
Unter anderem der stark gewachsene Dienstleistungssektor habe zu mehr weiblichen Arbeiterinnen geführt. In Kombination sei die “demografische Veränderung” entstanden, die bis heute erhalten geblieben ist. Mit Blick auf die Zukunft sei diese auch nur “sehr schwer zu ändern”, bilanziert der Wissenschaftler. Für ihn blicken die Kanaren demnach nicht auf ein kurzzeitiges Phänomen, sondern auf einen vorerst bleibenden Status quo.
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Kanaren: Wenig Geburten, niedrige Sterblichkeit – das sind die Probleme der Zukunft
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