Die “Cayuco-Krise” wiederholt sich auf den Kanarischen Inseln. Die nach den kleinen Fischerbooten benannte Rekordankunft afrikanischer Migranten ist auf den Kanaren in Erinnerung geblieben. Behörden halten es inzwischen für realistisch, dass sie sich wiederholt.
Vor 17 Jahren kamen 31.678 Hilfesuchende an den Küsten der Kanarischen Inseln an. Der damalige Wert gilt heute als Referenz, wann immer über afrikanische Bootsflüchtlinge gesprochen wird. Die Zahlen wirkten bis vor einem Monat als zu hoch für neue Werte dieser Größenordnung. Doch inzwischen gelten andere Maßstäbe.
In den vergangenen Wochen meldeten die Kanarischen Inseln an mehreren Wochenenden regelmäßig niedrige vierstellige Summen ankommender Migranten. Sollten die See ruhig bleiben und unter anderem dadurch weiterhin viele Menschen die gefährlichste Fluchtroute der Welt antreten, könnte 2023 schon bald als neue Referenz herangezogen werden. Denn die historische Höchstmarke rückt näher.
Im Oktober erreichen so viele Migranten die Kanaren wie in den neun Monaten zuvor
Bis Wochenbeginn verzeichneten die kanarischen Behörden 27.596 gerettete Migranten. Am Dienstag folgten 204 Hilfesuchende an Bord zweier Cayucos. Die Zahl der registrierten Migranten liegt damit im laufenden Jahr bei 27.800.
Daten des spanischen Innenministeriums zeigen, dass in den ersten neun Monaten des Jahres 14.976 Menschen an den Küsten des Archipels ankamen. Im Oktober folgten 12.824 Menschen – Tendenz steigend.
Kanaren-Flüchtlinge: El Hierro empfängt fast so viele Migranten, wie es Einwohner hat
Insbesondere der Senegal gilt dabei als Brennpunkt. Von dort startende Boote erreichen oft die Kanaren-Insel El Hierro. Von den rund 30.000 Migranten, die die Kanaren bisher erreichten, kamen 9000 auf der am geringsten besiedelten Insel an.
El Hierro verzeichnet nur etwas mehr als 11.000 Einwohner. 2023 erreichten die angekommenen Migranten damit rund 80 Prozent der Einwohnerzahl. Die Stimmung auf der Insel gilt dennoch als verhältnismäßig aufgeschlossen. Denn viele Einwohner El Hierros haben selbst einen Migrationshintergrund.
Entsprechend groß ist das Verständnis für die Situation der ankommenden Menschen. Kritisiert wird hingegen der politische Umgang mit der Situation. Zu lange wurde aus Madrid Schweigen vernommen, bevor erste konkrete Hilfs-Punkte angekündigt wurden.
Kanaren-Migration: “Pull-Faktoren” von 2006 wiederholen sich
Zuletzt kamen auf El Hierro am Dienstag 204 Personen an. Auf zwei Booten erreichten unter anderem 15 Kinder und ein Baby die Küste der Kanaren-Insel. 2006 galten verschiedene, so genannte “Pull-Faktoren” als Grund für die verstärkten Ankünfte afrikanischer Migranten auf den Kanarischen Inseln.
Eine Studie des “International Peace Institutes” (IPI) sprach in der Aufbereitung der Geschehnisse von 2006 von der boomenden Wirtschaft Spaniens, einer großzügigen Asylpolitik des Landes und politischen Spannungen in den Maghreb-Staaten. Hinzu kam das Leid vieler Fischer durch einen Preisverfall wegen der Überfischung des Meeres durch Europäer und Chinesen.
2023 gilt die Ablehnung als höher. Rechtspopulisten fordern lautstark Blitz-Abschiebungen. Auch “Pushbacks”, also das zurückschieben ankommender Boote auf den Atlantik, wird in diesen Kreisen diskutiert. Populisten sehen in einem solchen Vorgehen ein “abschreckendes Beispiel”, das sich in Afrika herumsprechen müsse. Als Vorbild gilt dort die rigorose Migrationspolitik Australiens. In Europa finden solche Praktiken offiziell keine Anwendung.
Kanaren-Flüchtlinge: Die Geschichte wiederholt sich
Die übrigen Haupt-Faktoren von 2006 wiederholen sich hingegen. Insbesondere im Senegal gilt die politische Lage als angespannt. Das Land unterzeichnete zudem Fischerei-Abkommen mit Europa und China.
Die Opposition des Senegals befindet sich vor den anstehenden Wahlen in einem erbitterten Kampf mit der aktuellen Regierung. Der Vorwurf: Die Verfolgung und Ermordung andersdenkender. Zudem würden die aktuellen Fischerei-Abkommen die Einwohner des Landes in die Armut – und damit in die Flucht treiben.
Ob die Migrations-Zahlen von 2006 auf den Kanaren übertroffen werden oder nicht, hängt von vielen Faktoren – vor allem vom Winter-Wetter auf dem Atlantik ab. Die senegalesische Opposition gibt Europa ungeachtet dessen eine aktive Mitschuld an der derzeitigen Situation. Und so lautet der Vorwurf:
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